"Ergebnis eines Prozesses"

04.09.2024

Vor dem Derby: Im Gespräch mit FCC-Sportdirektor Stefan Böger

Obwohl in Erfurt geboren, war er nie für den FC Rot-Weiß am Ball. Stattdessen führte ihn sein Weg, der bei der BSG Umformtechnik Erfurt begann, zu unserem FC Carl Zeiss, von wo es ihn nach der Wende zum F.C. Hansa Rostock, dem MSV Duisburg und dem Hamburger SV zog. Insgesamt brachte es der schnelle Rechtsverteidiger auf 129 Erstligaspiele. Er war unter anderem Trainer beim Deutschen Fußball Bund, bei Holstein Kiel, dem VfB Lübeck, der SG Dynamo Dresden sowie dem Halleschen FC und ist seit November des vergangenen Jahres Sportdirektor unseres FC Carl Zeiss Jena: Stefan Böger.

Fünf Siege nach fünf Regionalligaspielen und eine grandiose Leistung gegen den Deutschen Meister und Pokalsieger Bayer 04 Leverkusen. Hand aufs Herz: Hattest du das vor dem Saisonstart für möglich gehalten?

Das war sicher nicht so zu erwarten – aus nachvollziehbaren Gründen: Wir haben Spieler, die in der letzten Saison zum Stamm gehörten und das Gerüst unserer Mannschaft speziell in der Defensive bildeten, abgegeben und dafür viele junge Burschen aus dem eigenen Nachwuchs hochgezogen und in den Kader integriert. Dass das dann so schnell so funktioniert und diese Ergebnisse erzielen können, das habe ich in dieser Form nicht erwartet. Es gibt Dinge, die kann man steuern, manche Dinge kann man nicht oder nur bedingt steuern.

Dafür wiederum kann man, wie du es häufig auch sagst, bestimmte Dinge organisieren. Kannst du das näher erläutern?

Ganz unabhängig von der Liga hat jeder Sportdirektor und auch Trainer eine Personalstruktur in seinem Kopf. Man schaut sich das Spiel, die Spielwiese der eigenen Mannschaft an, hat Ideen, wie man erfolgreich Fußball spielen will und was dafür nötig ist. Aber das Ganze ist eben auch kein Wunschkonzert, sondern man muss sich an Realitäten orientieren. Und in Jena sind diese so, dass wir in einer Phase sind, in der der Verein auf dem Weg ist, wirtschaftlich auf eigenen Beinen zu stehen und das Budget entsprechend weniger zulässt. Dem müssen und wollen wir Rechnung tragen und versuchen innerhalb dieser Leitlinien, dennoch so gut wie möglich Wünsche und Ideen in unserer Planung umzusetzen.

Und das ist euch in bemerkenswerter Weise gelungen. Gab es vor dem Start der Saison so etwas wie ein Gefühl, dass das Ganze aufzugehen scheint, weil zum Beispiel die Vorbereitung gut lief, die Atmosphäre passt, oder es in der Kabine stimmt?

Gefühle gehören da eher in andere Lebensbereiche als in den Fußball. *lacht* In der Saisonvorbereitung ist die eine große Unbekannte der eigene Kader – aber eben auch die Konkurrenz. Man beobachtet natürlich, was die Kollegen überall in Deutschland so machen, wer wen verpflichtet und mutmaßlich welche Ziele hat. Und da ist man gut beraten, möglichst bei sich zu bleiben, da man das Handeln der Anderen ohnehin nicht beeinflussen kann. Unser Credo ist: Wir beschäftigen uns mit Dingen, die wir in der Hand haben.

Wo man auch hinkommt, wird über den FC Carl Zeiss Jena gesprochen, dessen Saisonstart, das Stadion, den Pokalauftritt, Zeiss und was auch immer. Das Umfeld ist nahezu euphorisch.

Und das ist doch schön so! Ich will diese Stimmung auch nicht klein reden. Es ist doch allemal besser, dass es so ist als anders herum, so wie es vor Jahresfrist in der letzten Saison war, als wir schlecht gestartet waren und die Stimmung entsprechend schlecht war. Die gute Stimmung bzw. Euphorie ist dabei nicht nur ein Ergebnis dieses Saisonstarts, sondern aus meiner Sicht des Weges, der im Januar dieses Jahres begonnen wurde. Das Trainerteam leistet hervorragende Arbeit. Und das, was wir momentan erleben, ist das Ergebnis eines Prozesses. Und dennoch ist es eine Momentaufnahme. Wir halten fest: Es war ein gelungener Start in eine Saison, die gerade erst begonnen hat. Das freut uns riesig, wir genießen das. Es ist Ansporn, aber auch Verpflichtung, keinen Deut nachzulassen und in unserer Herangehensweise genauso akribisch weiterzumachen.

Nun sind uns mit Justin Smyla, Justin Petermann und Elias Löder sehr früh verletzungsbedingt Leistungssäulen weggebrochen. Und immer gelang es der Mannschaft, dies aufzufangen.

Die Reaktion unserer Mannschaft auf diese Nackenschläge ist bemerkenswert. Und das liegt daran, dass wir über die letzten Monaten eine Mannschaft entwickelt haben, die in der Lage ist, einen forschenund engagierten Fußball zu spielen. Und es ist uns gelungen, eine Atmosphäre in der Kabine zu organisieren, die aktuell so ist, wie sie ist – nämlich hervorragend! Dass wir diese Ausfälle bisher kompensieren konnten, hat damit zu tun, dass die Spieler sich untereinander sehr gut verstehen, ergänzen und gegenseitig helfen.

Werden wir nun auch die Verletzung von Cemal Sezer kompensieren können?

Das es bisher gelang, die Ausfälle zu kompensieren, heißt natürlich nicht, dass man daraus schließen kann, dass wir das auf ewig so weiter hinbekommen. Wir arbeiten weiter intensiv daran, dass das Klima in der Truppe so positiv bleibt. Aber das sind jetzt doch schon personell einige heftige Schläge ins Kontor. Hier handelt es sich um den Ausfall absoluter Schlüsselspieler, was natürlich Auswirkungen auf unser Spiel und dessen Statik hat. Da sollten wir also sehr genau hinschauen. Ich denke, wir sind gut beraten, uns über mögliche Neuzugänge zumindest ernsthafte Gedanken zu machen, die speziell die Langzeitausfälle von Elias und Cemal auffangen könnten. Denn wir brauchen auch gute Trainingsqualität, um dannauch die entsprechenden Spielleistungen zu erbringen.

Und blickt man auf die kommenden Aufgaben, muss man festhalten, dass es kaum einfacher wird.

Absolut. Jetzt das Derby und dann wartet auch schon die VSG Altglienicke auf uns, die man immer auf dem Zettel haben muss. Und dann geht es schon gegen das Team der Stunde, Lokomotive Leipzig. Und auch in Eilenburg, Luckenwalde und Babelsberg wird man uns alles abverlangen. Ich kann nur davor warnen, irgendein Team in der Regionalliga Nordost zu unterschätzen. So weit sind wir noch längst nicht. Wir sollten uns nicht besser machen, als wir sind. Ja, wir sind gut, wenn alle gesund und an Bord sind und wir eine gute Stimmung haben. Aber wir sollten achtsam sein.

Wenn man ein solches Spiel wie gegen Leverkusen spielt: Gibt das Rückenwind für die kommenden Aufgaben, da man zusätzliches Selbstvertrauen tanken konnte? Oder ist es nach einer solchen Leistung eher umso schwerer?

Darüber habe ich tatsächlich unmittelbar nach dem Spiel gegen Bayer Leverkusen auch nachgedacht. Man muss sich vergegenwärtigen, dass wir viele junge Spieler haben, die dieses Highlightspiel gegen den Deutschen Meister aufgesogen, genossen und eine sehr, sehr gute Leistung gezeigt haben. Und dennoch: Sie bleiben auch nach diesem Spiel junge Spieler. Das bedeutet, dass der Kopf, die gesamte mentale Situation für die jungen Burschen gerade sehr herausfordernd ist. Und da ist es unsere Aufgabe, die Jungs zu begleiten, ihnen Hilfestellung zu geben, damit sie damit umgehen können. Wir haben also vom ersten Moment an nach dem Abpfiff daran gearbeitet, den Spielern aufzuzeigen, dass es ein Extraspiel, ein Bonusspiel war, und es jetzt ab sofort wieder um den Alltag geht. Das können wir beeinflussen.

Und was nicht?

Das Stimmungsbild bzw. die Erwartungshaltung um uns herum. Die Fans, die Sponsoren, alle, die es mit dem FCC halten, sollten genau hinschauen und aus dem tollen Spiel gegen Leverkusen nicht den Anspruch ableiten, dass man ohne Probleme auch Eilenburg und Luckenwalde schlägt. Wir sollten eine gute Balance finden, die diese junge Mannschaft unterstützt, Fehler mal verzeiht und sich auch darauf einstellt, dass auch wir in dieser sehr ausgeglichenen Liga wieder mal ein Spiel verlieren werden. Idealerweise aber natürlich nicht heute!

Dabei viel Erfolg! 

 

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